Erschienen am 17.02.2011
Vorwort
Wer das Leben Heinrich von Kleists verfolgt, findet im Wesentlichen zwei Geschichten. Sie scheinen kaum etwas miteinander zu tun zu haben. Es ist zum einen die Geschichte eines schwer zugänglichen, merkwürdig verstockten Menschen, der lange als einer der großen Einsamen der deutschen Literatur galt. Zum anderen ist es die Geschichte eines agilen jungen Mannes in einer Zeit der Umbrüche, Kriege und Neuerungen. Selten fielen die innere und die äußere Geschichte so weit auseinander wie im Fall Kleists.
Er war unternehmungslustig, tourte ausdauernd durch Europa und war gut vernetzt. Gleichzeitig hatte er eine extreme Sehnsucht, von seinem Innersten zu reden und verzweifelte immer wieder an der Sprache. Ein solcher Mensch muss wohl letztendlich einsam bleiben. Selten hat jemand heftiger geliebt und war gleichzeitig unfähiger zur Liebe als Kleist.
In dieser Situation begann er zu dichten und versuchte, beide Geschichten, die innere und die äußere, zusammenbringen. Er legte seine Verzweiflung, seinen Hass, seine Hoffnung, seine Liebe und seine Seele erst in Tragödien, dann in Komödien und dann in Erzählungen. So entfaltete sich ein eigenartiges Wesen, mit befremdlichen Gebärden, eigenartigen Figuren, ungekannten Gefühlen. Es sind wahre Ungeheuer, die Kleist erfand, und man liebt sie trotzdem, wie Kohlhaas und Penthesilea. Er schrieb, im „Amphitryon“ und im „Käthchen von Heilbronn“, von göttlicher und menschlicher Liebe, so zart, dass man zergeht. Im „Zerbrochnen Krug“ ist der erste Mensch ein Teufel und die Welt ein Bauernschwank. Er träumte den Traum von der neuen, schöneren Geburt der Menschengesellschaft nach dem Weltuntergang. Er erfand so etwas wie die unschuldige Vergewaltigung und die mörderische Liebe.
Es half nichts. Am Ende begrüßte er emphatisch seinen eigenen Tod. Die Lage fühlte sich für ihn so aussichtslos an, dass er sich selbst glauben machen wollte, dass es ein glücklicher Tod sei, mit dem er aus der Welt ging. Seitdem kommt die Welt nicht von ihm los.
In diesem Buch werden beide Geschichten, die Geschichte von Kleists Seele und die Geschichte des Zeitgenossen von Napoleon, des Krieges im Inneren und im Äußeren, mit möglichst großer Anschaulichkeit erzählt. Man soll Kleist in diesem Buch spüren können und ihn vor sich sehen. Es geht primär nicht um neue Erkenntnisse, wenngleich das Gesagte vor der Wissenschaft bestehen möchte und das Buch Neues über Kleist enthält. Es geht um den ganz normalen Leser, der sich von einem „unaussprechlichen Menschen“, wie Kleist sich selbst nannte, gefangen nehmen lassen will.
Veranstaltung
„Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher – Biographie“
Kulturamt Frankfurt am Main