Das Krankheitsbild der Winterdepression – SAD
Unsere Umwelt ist ständigen zyklischen Veränderungen unterworfen. Sie gibt dadurch einen „Takt“ vor, dem sich unser Energieniveau im Sinne einer evolutionären Anpassungsleistung angleichen musste (Bartholomew 1972; Moore-Ed 1986). Unsere ,,innere Uhr“ der physiologischen Rhythmen wurde demnach mit den äußeren Zyklen synchronisiert.
Die Ätiologie affektiver Störungen sah man in vergangenen Zeiten vorwiegend in der sich zyklisch verändernden Umwelt (Roccatagliata 1986; Aristoteles in Ross 1953) und im Zuge der linearen Sichtweise einer kausalistisch geprägten Naturwissenschaft wurde diese Erkenntnis in den Hintergrund gedrängt. Hippokrates verstand Krankheit als unzureichende Anpassung des Menschen an die verschiedenen Jahreszeiten und seitdem empfahlen die Ärzte verschiedene klimatische Faktoren zu ändern, um bestimmte Muster von Depressionen zu behandeln. Sie konzentrierten sich dabei auf die Temperatur und glaubten wie Aristoteles, dass Hitze die Stimmung hebt. Posidonius (in Roccatagliata 1986) fasste im 4. Jahrhundert n. Chr. die Ansicht vieler früherer Forscher zusammen, die das Auftreten der Melancholie mit dem Beginn des Herbstes und Winters einerseits, und das Auftreten der Manie mit dem Beginn des Frühlings und Sommers andererseits, in Beziehung brachten. Aus dem 17. Jahrhundert gibt es Berichte über Patienten mit regelmäßig wiederkehrenden Melancholien im Sinne einer Winterdepression und Manien im Sommer (Dewhurst 1962).
Die Vorstellung, dass Licht und Dunkelheit das Gemüt beeinflussen, war schon den alten Griechen geläufig, die in der Depression eine Art „innere Dunkelheit“ sahen. Bemerkenswerterweise wird Licht zur Behandlung von Depressionen und „Lethargien“ schon ungefähr seit 2000 Jahren genutzt.
Aretaeus (in Adams 1856) schrieb im 2. Jahrhundert n. Chr.: „Lethargies are to be laid in the light, and exposed to the rays of the sun for the desease is gloom“ und Aurelius
(1950) spezifizierte, dass das Licht über die Augen appliziert werden müsse um effektiv zu sein. Wehr et al. (1987a) bestätigten dies 1987 durch eine kontrollierte Studie. Die womöglich erste in der Literatur dokumentierte Behandlung eines saisonal abhängig depressiv verstimmten Patienten im Sinne der Lichttherapie, wurden von keinem geringeren als Pinel (1806) und seinem Schüler Esquirol (1845) durchgeführt. Sie beobachteten gegen Ende Juni Anfälle von Manien, im Winter deren Umschlagen in eine Melancholie und die Besserung der Depression durch einen Aufenthalt in Gebieten niederer Breitengrade. Das gleiche saisonale Muster beobachteten Griesinger (1855), Kraepelin (1921) und Kraines (1957). Die erste Publikation über Lichttherapie in einer naturwissenschaftlichen Zeitschrift ist von Marx aus dem Jahre 1946, der wiederkehrende winterliche Depressionen beschrieb, die erfolgreich mit Licht behandelt werden konnten. Er sah darin eine durch Lichtmangel bedingte hypophysäre Insuffizienz, die sich durch Licht über retinohypophysäre Bahnen beeinflussen läßt.
Rosenthal et al. definierten im Jahre 1984 Diagnosekriterien der SAD (“Seasonal Affective Disorder” = Winterdepression) und brachten Beweise für die Gültigkeit des Syndroms basierend auf den ersten systematischen Untersuchungen. Sie beschrieben Verlaufskriterien, das klinische und demographische Muster und das positive Ansprechen auf die spezifische Behandlung mit Licht. Neben dem Wintertyp, der durch den Beginn der depressiven Phase im Herbst und einer Remission im Frühling und Sommer gekennzeichnet ist, existiert auch ein Sommertyp, der durch ein gegensätzliches Muster charakterisiert ist (Rosenthal et al. 1984; Wehr et al. 1987b, 1989). Im Folgenden bezieht sich die Winterdepression, SAD (Saisonal abhängige Depression) immer auf den Wintertyp.
Das positive Ansprechen der Lichttherpaie bei SAD (Saisonal abhängige Depression) konnte von vielen nachfolgenden Untersuchungen bestätigt werden (Wirtz-Justice et al. 1986; Thomson und Isaac 1988; Garvey et al. 1988; Boyce und Parker 1988).
Wintersepression (SAD) und atypische Symptome
Die SAD-Patienten zeichnen sich durch Symptome einer sogenannten atypischen Depression aus, wie Zunahme des Appetits, vermehrte Nahrungsaufnahme (Hyperpha- gie), Gewichtszunahme, Kohlenhydratheißhunger, verlängerte Schlafdauer (Hypersomnie) ohne Erholungseffekt und eine gesteigerte Müdigkeit in den Nachmittags- und Abendstunden (Rosenthal et al. 1984; Wirtz-Justice et al. 1986; Thomson und Isaacs 1988; Garvey et al. 1988)
Die Libido ist oft vermindert und zwischenmenschliche Beziehungen sind meist gestört bis zum sozialen Rückzug. Die depressive Verstimmung steht im Vergleich zur verminderten Aktivität im Hintergrund (Wirtz-Justice et al. 1986; Rosenthal et al. 1987a; Thomson und Isaac 1988; Lam et al. 1989a).
Die für nicht saisonal abhängig Depressive charakteristischen Symptome wie verminderter Appetit, Gewichtsverlust und Schlaflosigkeit sind eher selten und auch Tagesschwankungen der Stimmung sind bei SAD (Saisonal abhängige Depression) mit einer abendlichen Verschlechterung, den Stimmungsschwankungen bei typischen Depressionen entgegengesetzt (Wirtz-Justice et al. 1986; Rosenthal und Wehr 1987a; Thomson und Isaacs 1988; Lam et al. 1989a). Das DSM IV enthält neben den Verlaufsbeschreibungen einen „atypical feature episode specifier“ mit atypischen Symptomen, von denen mindestens 2 erfüllt sein müssen. Die SAD, Saisonal abhängige Depression, ist aber nicht identisch mit der atypischen Depression und diese spricht nach Wirtz-Justice (1991) nur als saisonale Form auf Lichttherapie an. Da sich aber das Symptomenprofil der SAD mit zunehmender Schwere der Depression dem der nicht-saisonal abhängigen Depressionen angleicht (Kasper et al. 1988a), wurden die atypischen Symptome nicht als Kriterien für die Diagnose SAD herangezogen (Liebowitz et al. 1984). Zur Eignung der atypischen Symptome zur Prädiktion des Erfolges der Lichttherapie (siehe Link zur kompletten Arbeit, Kapitel 2.9.).
Ein Überwiegen der vegetativen Symptome wie z. B. Hyperphagie und Hypersomnie bei einer insgesamt milderen Ausprägung der depressiven Symptomatik, kann als subsyndromale SAD (S-SAD) bezeichnet werden. S-SAD Patienten erfüllen zwar nicht die Kriterien einer ,,Major Depression“ und damit auch nicht der SAD (Saisonal abhängige Depression), sprechen aber gut auf Lichttherapie an (Kasper et al. 1989b).
Epidemiologie der SAD
Da SAD-Patienten selten psychiatrisch behandelt werden (Kasper und Kamo 1989d), und Patienten mit milderem Ausprägungsgrad oft keine Therapie in Anspruch nehmen, kommt es zu Fehleinschätzungen hinsichtlich der Häufigkeit. Kraepelin (1921) beobachtete bei 5% der Manisch-Depressiven ein saisonales Auftretensmuster. Die Lebenszeitprävalenz von SAD, Saisonal abhängige Depression, und deren subsyndromale Form wurde epidemiologischen Untersuchungen an der Ostküste der USA zufolge, abhängig vom Breitengrad auf 4-20 % geschätzt (Terman 1989b; Kasper et al. 1989c; Rosen et al. 1990b). Thase beschrieb 1989 eine Prävalenz von 4-6% und Kasper et al. (1989c) schätzen sie mit Hilfe eines strukturierten Telefoninterviews auf 5%. Terman (1988) fanden bei 16,5% stationär behandelter Patienten mit typischen Depressionen (DSM III) die Kriterien einer SAD nach den SPAQ-Kriterien, im Kollektiv der Patienten mit wiederkehrenden Depressionen waren SAD (Saisonal abhängige Depressionen) sogar mit 16-38% vertreten. Diese könnten durch eine genauere Diagnostik und verlässlicher Prädiktoren differenziert und dadurch spezifischer und erfolgreicher behandelt werden.
Mit Zunahme des Breitengrades nimmt auch die Häufigkeit der SAD-Symptome zu, so dass auch Gesunde diese Symptome entwickeln können (Terman et al. 1989b). Andererseits entwickeln einige Patienten auch in niederen Breitengraden eine SAD, Saisonal abhängige Depression. So
ergab eine Untersuchung in Texas eine relativ hohe Prävalenz (Hedge und Woodson 1996). Madden et al. (1996) fanden einen signifikanten genetischen Einfluss auf die saisonalen Schwankungen der Stimmung und des Verhaltens. Suhail (1997) konnte keine genetische Beeinflussung der Erkrankung feststellen. Nach einer longitudinalen Studie von Gross und Gysin (1996), kann man bei 10% der Allgemeinbevölkerung von saisonal abhängig depressiv geprägten Symptomen ausgehen. Im Kollektiv der Depressiven sogar von einer Prävalenz von 20%. Rosen et al. 1990b fand bei Zugrundelegen des SPAQ in einer Untersuchung von 1234 Personen in New York Maryland und Florida eine Prävalenz von 7,4% und für die subsyndromale Form von 10,7%. Andere Studien berichten von einer Prävalenz zwischen 2,2% und 10% (Booker und Hellekson 1992, Weicki et al.1992, Partonen et al.1993, Ozaki et al.1995) Das weibliche Geschlecht ist dreimal häufiger als das männliche betroffen (O ́Brien und Checkley 1989) und die Erkrankung beginnt meist im dritten Lebensjahrzehnt (Kasper et al. 1989c).
Lichttherapie und SAD (Saisonal abhängige Depression)
Lichttherapie mit mindestens 2500 Lux Vollspektrumlicht, ist als effektive Behandlung der SAD (Saisonal abhängigen Depression) etabliert (Lewy et al. 1982; Rosenthal et al. 1984, 1985, 1987a). Der Patient befindet sich variierend je nach benötigter Lichtintensität etwa 70-100 cm vor der Lichtquelle. Die Anwendungsdauer sollte mindestens 2 Stunden betragen, und der Patient wird angehalten jede Minute für einige Sekunden direkt in die Lichtquelle zu schauen.
Eine positive Response wird allgemein üblich nach Terman et al. (1989a) mit einer Abnahme des HRSD-Score (Hamilton Rating Scale of Depression, Hamilton 1967) von mindestens 50%, eine Remission mit der Abnahme des absoluten Wertes unter 8 definiert. Diese Responsekriterien haben auch für die vorliegende Studie Gültigkeit. Terman et al. berichteten 1989 (1989b) in einer Übersichtsstudie von einer Responserate von 66% und in 50% der Fälle von einer Remission. Meesters et al. (1993) berichten in 30-70% der Fälle von einer Remission. Der fehlende Zusammenhang zwischen der Erwartungshaltung der Patienten und der Response, spricht gegen eine Suggestivwirkung der Lichttherapie als therapeutischer Effekt (Kasper et al. 1989a; Rosenthal et al. 1987a).